Regisseur Dietrich Brüggemann: „Der Widerstand gewinnt immer“ (2024)

Wir treffen den Regisseur Dietrich Brüggemann in einem Café im Akazienkiez in Schöneberg. Alles scheint normal, doch schon nach wenigen Minuten des Gesprächs merken wir: Der Künstler ist wie ein Seismograf. Er spürt: Unter der Oberfläche brodelt es. Deutschland ist nach Corona ein anderes Land geworden. Brüggemann selbst hatte in der Corona-Zeit mit der Aktion „Alles dichtmachen“ auf subtile Weise Kritik an seltsamen Verhaltensweisen in der Gesellschaft geäußert. Er glaubt, dass die Menschen aus den Verwerfungen gelernt haben.

Herr Brüggemann, Sie haben mit Ihrer Band „Theodor sh*tstorm“ ein Musikvideo gemacht. Es heißt „Wir sind alle gegen Nazis“. Was bezwecken Sie mit diesem Video?

Man sollte als Künstler sein eigenes Werk nicht interpretieren. In gewisser Weise bin ich dümmer als mein eigenes Werk, denn es gibt ja durchaus legitime Interpretationen, auf die ich nie kommen würde. Kunst erzeugt eine merkwürdige Bedeutungsverschiebung. Wenn ich sage: „Ich hau dir eine rein“, dann ist das eine justiziable Gewaltandrohung. Wenn ich dagegen singe (er singt): „Ich hau diir eine reiin“, ja was ist das denn dann? Der Gesang könnte die Aussage auf den Kopf stellen. Beim Sprechen bin ich gehalten, zu sagen, was ich meine. In der Kunst kann ich sagen, was ich will, es muss dann decodiert werden, und die Anleitung dazu muss man sich auch aus dem Werk holen.

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Sie tätigen also eine politische Aussage und nutzen die Kunst, um nicht genehme Aussagen unangreifbar zu machen?

Ich tätige überhaupt keine politische Aussage.

Das Video hat eine klare Botschaft: Zuerst haben wir uns in den Corona-Jahren gegenseitig umgebracht, und jetzt sind wir wieder alle vereint im Kampf gegen Nazis. Sie nehmen die Berliner Zeitung, am Anfang sind es ein paar Artikel gegen Nazis, dann alle Überschriften, und am Ende bestehen alle Artikel nur noch aus dem Satz: „Wir sind alle gegen Nazis“.

Der Song entstand im Kern schon im Jahr 2019. Außerdem: „Wir sind alle gegen Nazis“ – was ist denn an der Message nicht klar?

Sie sehen also überall Nazis?

Ich sehe eine Gesellschaft, die sich sehr viele Gedanken über Nazis macht – zu Recht, denn das ist immer noch der Urknall und Nullpunkt unserer deutschen Gegenwartsgesellschaft.

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Als Leitartikel geschrieben würde Ihr Song heißen: Wir haben keine anderen Probleme mehr als den Kampf gegen Nazis. Tatsächlich verstecken Sie auf höchst subversive Weise eine Botschaft, die Sie nur künstlerisch äußern können.

Wenn Sie diese Botschaft da sehen wollen, kann ich Ihnen das schlecht verbieten, aber ein Song ist eben kein Leitartikel. Kunst ist offen, Kunst ist wie ein Froschlaich, man entlässt ihn ins Wasser, jeder andere Frosch darf ihn befruchten und dann entstehen neue Frösche. Man betreibt keinerlei Brutpflege, der Nachwuchs ist sich selbst überlassen.

Sie haben vor einiger Zeit eine ganze Menge Frösche erzeugt, mit der Aktion „Alles dichtmachen“. Da haben Sie auch Dinge sagen lassen, die für sich genommen damals Konsens waren, in der künstlerischen Überzeichnung aber für ungeheuren Aufruhr gesorgt haben. Ich erinnere mich an die Schauspielerin, die die Lieferdienste gelobt hat, die Mitarbeiter aber angeschwärzt hat, weil sie am Wochenende auf den Spielplatz gegangen sind.

Ich erinnere an Heike Makatsch, die den Pizza-Boten nicht reingelassen hat – vorbildlich! Ich finde das Heike-Makatsch-Video sehr, sehr schön. Schade, dass sie es so schnell zurückgezogen hat. Das Video ist aber zum Glück immer noch im Netz. Es ist übrigens auch grandios gespielt. Heike Makatsch ist ja eine hervorragende Schauspielerin. Ich bin übrigens niemandem böse, der sein Video zurückgezogen hat. In so einer irrsinnigen sh*tstorm-Situation ist das verständlich. Besondere Hochachtung habe ich trotzdem für die Leute, die ihr Video zurückgezogen haben und nach zwei Tagen gesagt haben, nein, so nicht, und es wieder reingestellt haben, wie zum Beispiel Felix Klare. Es war eine wilde Zeit, die ist irgendwie vorbei, und doch rumort da noch etwas. Es fühlen sich jetzt bestimmte Leute bemüßigt, eine Art Pseudo-Aufarbeitung zu machen wie beispielsweise der Spiegel, der dieselben Leute interviewt, die er immer interviewt hat, und die dürfen dann sagen: „Wir müssen es beim nächsten Mal noch besser erklären!“

Regisseur Dietrich Brüggemann: „Der Widerstand gewinnt immer“ (1)

Was da passiert ist, war vollkommen irrsinnig, und das werde ich bis an mein Lebensende auch so sagen“, sagt Brüggemann über die Corona-Jahre.Paulus Ponizak/Berliner Zeitung

Man sagt einfach, dass Maßnahmen, die Millionen Menschen das Leben zur Hölle gemacht haben, jetzt lapidar abgearbeitet werden nach dem Motto …

… Fehlerchen gemacht! Was da passiert ist, war vollkommen irrsinnig, und das werde ich bis an mein Lebensende auch so sagen. Ich hätte mir niemals träumen können, dass so etwas passiert. Ich glaube aber, es gibt eine gewissen Naturgesetzlichkeit, wie die Diskurse weitergehen. Das Pendel schlägt wieder aus in Richtung Vernunft. Eine wirkliche Kursänderung wird es aber vielleicht erst geben, wenn die Generation, die damals zwölf oder 15 Jahre alt war, in gesellschaftliche Schaltstellen vorrückt, wenn die dann mit Ende 20 in den Redaktionen was zu sagen haben. Denn die haben keinen Dreck am Stecken. Fast jeder, der in den Medien was zu sagen hat, hat auf die eine oder andere Art mitgemacht bei dem allgemeinen Panik-Getrommel.

Ist diese Generation nicht durch die sozialen Medien so eingeschränkt, dass sie alles glauben, was ihnen gesagt wird?

Es gibt in jeder Generation interessante, aufgeweckte, angeknipste zehn Prozent. Auf die zähle ich.

In Ihrem „Wir sind alle gegen Nazis“-Video prangern Sie aber doch auch die Obrigkeitshörigkeit an.

Ich zähle auf die aufgeweckte Minderheit. Aber natürlich ist da auch die Kunst gefragt: Irgendwann muss erzählt werden, was in diesen Jahren alles passiert ist. Früher oder später muss da der Roman oder Film her, der einfach nur nüchtern erzählt, was da passiert. Ich werde es wohl irgendwann versuchen.

Allerdings war das Verhalten der Kunst in der Zeit auch nicht besonders ruhmreich. Man hat sich überboten in Hygiene-Regeln und politische genehmen Statements. Die Feinde waren doch immer die Protestler, also die, die die Regierung kritisiert haben. „Alles dichtmachen“ war die absolute Ausnahme und wurde wegen seiner Regierungskritik massiv angefeindet.

Kunst ist eine der Säulen der Gesellschaft und jede Säule hat ihr Gewicht zu tragen. In so einer nationalen Notlage sind auch die Künstler gefordert, die entsprechenden Botschaften unters Volk zu bringen: Lass dich impfen und sei kein Schwurbler. Das hat die Kunst im Großen und Ganzen gut gemacht, nur ein paar verantwortungslose Wissenschaftsleugner waren der Meinung, sie müssten es besser wissen.

Das war nicht immer so: Zu Zeiten von Thomas Bernhard und Claus Peymann wurde ausschließlich die Regierung attackiert.

Es gab in den westlichen Ländern in den 1960er-Jahren bis in die 1980er-Jahre eine Phase, wo fundamentale Opposition zur Staatsmacht allgemeiner Konsens war. Und in diesem allgemeinen Konsens waren alle konform. Man kann also sagen: Es geht in der Kunst immer darum, konform zu sein mit dem, was die anderen tun.

Wenn die Kunst mit dem Staat konform ist, dann ist sie Staatskunst.

Die Kunst lebt zu großen Teilen von staatlicher Förderung. Und daher gilt: Wes Brot ich ess, des Lied ich sing. Ich setze aber auf das Pendel, das bei Corona gerade zurückschlägt. Das geht nur im Rückblick. Jede Massenhysterie der Geschichte wurde irgendwann später als solche eingeordnet – ob es Hexenverbrennung oder Calvins Schreckensherrschaft in Genf war. Ich bin da ganz zuversichtlich, vor allem wenn ich mir Länder mit einer langen demokratischen Tradition ansehe wie Großbritannien und die USA. Da war, anders als in Deutschland, der Widerstand gegen den ganzen Corona-Wahnsinn von Anfang an auch in den bürgerlichen Milieus viel stärker. Daher sitze ich ganz fröhlich hier und sage: Seid optimistisch und lasst euch nicht den Mund verbieten. Mein Leben geht ja auch weiter.

Regisseur Dietrich Brüggemann: „Der Widerstand gewinnt immer“ (2)

Dietrich Brüggemann: Die Kunst lebt zu großen Teilen von staatlicher Förderung. Und daher gilt: Wes Brot ich ess, des Lied ich sing.Paulus Ponizak/Berliner Zeitung

Das ist ja erfreulich – wie geht es denn weiter?

Ich drehe demnächst einen Tatort mit Ulrich Tukur, und für den Tatort in Stuttgart entwickle ich auch etwas. Ich will mir mein Leben nicht auf Dauer von Corona vermiesen lassen.

Es geht ja nicht nur um Corona, sondern vor allem um die Frage: Wer hat Zivilcourage gehabt und den Mund aufgemacht? Sie waren einer von denen.

Man kann feststellen, dass seit Corona auf eine andere Art durchregiert wird, dass die Regierungen sich einbilden, sie könnten immer mehr in die Meinungsäußerungen ihrer Bürger eingreifen. Da werden Sachen versucht, die schon vor Jahrhunderten nicht funktioniert haben. Wenn der Staat zum Beispiel sagt, ich darf bei einer Demo auf der Straße den Buchstaben Z nicht mehr zeigen, dann ist das ja im Grunde rührend hilflos. Dann klebe ich mir halt ein N auf die Jacke und sage, das Z ist umgefallen. Und wenn der Buchstabe N dann auch verboten wird, dann nehme ich halt ein O, das ist der nächste im Alphabet. Wenn mir verboten wird zu sagen, was ich denke, dann sage ich eben das Gegenteil. Wenn Agnes Strack-Zimmermann jeden abmahnt, der sie als Rüstungslobbyistin bezeichnet, denn muss eben möglichst oft betont werden, dass Agnes Strack-Zimmermann keine Rüstungslobbyistin ist. Und wenn Bauern verklagt werden, weil sie Transparente aufhängen, wo draufsteht, den Grünen verkaufen wir nichts, dann kann ich den Bauern nur raten, Transparente aufzuhängen, wo draufsteht: Wir lieben die Grünen abgöttisch. Die Obrigkeit bekommt, was sie bestellt hat.

Wir müssen also das Orwell’sche Spiel „Krieg ist Frieden“ mitmachenJoseph Beuys hat das bestimmt nicht gemeint, als er gesagt hat, jeder Mensch möge ein Künstler sein, aber wenn es darauf hinausläuft – bitte schön, ich bin gern dabei.

Ein Twitter-User muss sich vor Gericht verantworten, weil er prominente Verfasser von gehässigen Sprüchen gegen Ungeimpfte als „Täter“ bezeichnet hat.

Er hätte „Wohltäter“ schreiben sollen.

Wo bleibt die Kunst als Anwalt der Freiheit?

Die Freiheit der Kunst ist eine historische Ausnahme – wann war denn die Kunst schon mal frei? Es gab ja immer Machthaber, Fürsten und Despoten oder die Kirche. Und wenn die Kunst frei ist, dann schreit und bettelt diese Kunst: Schränkt meine Freiheit ein, damit ich etwas habe, um dagegen zu rennen. Weite Teile der Kulturproduktion der letzten 50 Jahre sind ja nur so zu verstehen: Man sucht die immer krassere Provokation, damit endlich mal einer auf den Tisch haut.

Wird sich der Corona-Exzess wiederholen?

Ich glaube nicht. Was da viral gegangen ist, war ja vor allem die Erzählung: Lockdown, Maske, Abstand halten, asymptomatische Verbreitung, exponentielle Kurve. Das hatte es bis dahin nicht gegeben. Diese Erzählung war neu, und sie verbreitete sich wie ein Virus. Damit möchte ich natürlich nicht behaupten, es habe das Coronavirus nicht gegeben! Das tun nur sehr schlimme Leute, von denen ich mir allerdings nicht sicher bin, ob sie überhaupt existieren. Radikal neu war aber die Erzählung, dass man dagegen mit Lockdown und „flatten the curve“ vorgehen können. Das soziale Immunsystem der Weltgesellschaft hat sich damit jetzt vier Jahre lang beschäftigt. Nun ist die Welt immun und würde das in ganz vielen Ländern ganz sicher nicht noch einmal mitmachen. In Amerika wird das nie wieder funktionieren, und damit kannst du es weltweit vergessen.

Der Deutsche folgt dagegen unbeeindruckt der Obrigkeit?

Es wirkt so. Man kann „Der Untertan“ lesen und erkennt einiges wieder. Eine Kultur ist offenbar über viele Generationen stabil. Aber ich sehe auch hierzulande eine breite Minderheit im bürgerlichen Milieu, die ganz anders drauf ist. Das ist alles nicht so monolithisch. Es ist noch nicht klar, wer am Ende die Mehrheit ist.

Es gibt heute noch Menschen, die nach wie vor ausgegrenzt werden, es gibt Kritiker, die werden heute noch gemobbt.

Es gibt Schauspieler, die heute noch keinen Fuß auf den Boden bekommen, weil sie gesagt haben, dass sie sich nicht impfen lassen. Natürlich schreit das zum Himmel. Da bin ich sehr dafür, die Erinnerung wach zu halten. Dieses subtile Mobbing, das sich in ganz vielen Orten durch Geflüster und Getuschel zusammensetzt, das widert mich an. Daran sieht man, dass das Ganze nicht vorbei ist.

Regisseur Dietrich Brüggemann: „Der Widerstand gewinnt immer“ (3)

Dietrich Brüggemann, Jahrgang 1976, hat sich neben der Regie auch der Schriftstellerei und Musik verschrieben.Paulus Ponizak/Berliner Zeitung

Glauben Sie, dass das Digitale die totalitären Tendenzen verstärkt?

Ja und nein. Jeder kann heute mit jedem in Echtzeit kommunizieren. Diese Katze ist aus dem Sack und geht nicht mehr zurück in den Sack. Es gibt keine zentrale Medienmacht mehr. Wir haben es beim Aufstand der Trucker in Kanada gesehen. Da wurde versucht, den Demonstranten die Finanzierung digital abzuschneiden. Aber auch das ist nach hinten losgegangen. Die zentralen Allmachtsfantasien haben in Kanada nicht mehr funktioniert. Auch wenn die Proteste am Ende zerschlagen wurden, haben die Trucker gewonnen, und damit hat Corona wirklich geendet. Die Fantasie einer Zentralmacht, die alles kontrolliert, die muss am Ende global sein, damit es keine Schlupflöcher gibt. Es wird aber nie eine Weltregierung geben. Wir brauchen keine Angst zu haben, sondern sollten in konkreten Ansätzen der Gegenwehr denken. Was bei Corona auch passiert ist: Menschen wie ich, die vorher nicht so besonders politisch waren, wurden politisiert. Viele haben gesagt: Dieser übergriffig autoritäre Staat, das kann ja wohl nicht sein. Viele haben gesehen, wie Dominanz ausgeübt wird, jeder konnte für eine Zeit andere dominieren: Wenn ich an der Pforte sitze, kann ich andere anschreien: Maske auf! Unterstützt wurde das dann von grauenhafter Propaganda wie hier in Berlin, wo es hieß: „Nicht rumgurken. Maske vor die Rübe!“ Das ist doch einer Demokratie nicht würdig. Entweder man respektiert die Leute als autonome Erwachsene, dann verbietet sich dieser Tonfall, oder man hält sie für unmündige Kinder, dann kann man sich das mit der Demokratie auch gleich sparen. Seitdem ist jedenfalls eine große kritische Masse auf der ganzen Welt ziemlich sauer und schaut sich jetzt sehr genau an, was die Regierungen so machen.

Das heißt, der Widerstand hat gewonnen, nur die Mächtigen haben es nicht gemerkt?

Der Widerstand gewinnt immer.

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